Übersetzung von “Facebook Has Had Countless Privacy Scandals. But This One Is Different.”
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Charlie Warzel, BuzzFeed News, 26. März 2018
Es ist ein Moment, der uns zwingt, alle zusammen, zurückzutreten und darüber nachzudenken, was wir für eine bequemere und vernetzte Welt geopfert haben.
Der Cambridge Analytica-Skandal von Facebook hat alles: merkwürdige Milliardäre, ein einst verehrtes Start-up verwandelt in einen Monolith, einen politischer Söldner, der einem Bond-Bösewicht mit seiner undurchsichtigen, psychografischen Profile-Firma ähnelt, einen exzentrischer Whistleblower, Millionen von Profilen mit durchgesickerten Facebook-Daten, Steve Bannon, die Mercers und – ganz entscheidend – Donald Trump, und die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl 2016.
Dem Anschein nach las sich der Vorfall als die Bestätigung der schlimmsten Ängste vieler Menschen – dass die Internet-Plattformen, auf denen wir sind, uns manipulieren und die persönlichen Informationen, die wir in gutem Glauben zur Verfügung gestellt haben, ohne unser Wissen verwenden. Hinzu kommt, dass eines der vielen unbeabsichtigten Ergebnisse hiervon die Wahl von Donald Trump gewesen sein könnte, und Sie haben die Voraussetzungen für eine dauerhafte Empörung.
Während die Hauptakteure des Skandals – Facebook, Cambridge Analytica und Trump – die Schlagzeilen beherrschen, bilden sie doch nur den Rahmen – und sind die perfekten Auslöser für echte Empörung. Aber beim Cambridge Analytica-Skandal geht es gar nicht um Cambridge Analytica.
Es ist ein Datenerfassungsskandal. Dies ist ein Skandal, der durch einen bestimmten Vorfall ausgelöst wurde, aber es geht im Großen und Ganzen darum, wie übergroße Unternehmen uns verfolgen, unsere Informationen sammeln und uns dann als erzwungene Zielgruppen verkaufen für komplexen Datenkampagnen, die für alles mögliche von Windeln über Matratzen bis hin zu Impfgegner-Literatur reichen können.
Die Geschichte wird nicht wegen der Abneigung gegenüber der politischen Datennutzung andauern, sondern weil sie tief sitzende Ängste über unsere Privatsphäre im Internet absolut anspricht, Ängste, die seit Jahren aufgebaut werden. Tatsächlich könnte der Cambridge Analytica-Skandal der Auslöser für einen viel größeren Aufstand sein – eine umfassende persönliche und öffentliche Abrechnung mit der Art und Weise, wie wir das Internet in den letzten zehn Jahren genutzt haben. Es ist ein Moment, der uns zwingt, alle zusammen, zurückzutreten und darüber nachzudenken, was wir für eine bequemere und vernetzte Welt geopfert haben. Und mit einem Internet, das sich zunehmend giftig anfühlt, ist es schwer sich die Kompromisse anzusehen, die wir eingegangen sind und dabei das Gefühl zu haben, dass wir einen fairen Handel bekommen.
Sie können sehen, dass diese Rechnung bereits in den Medien aufzugehen beginnt, da sich der Fokus von den Taten Cambridge Analyticas auf mehr allgemeine Bedenken verschiebt, bezüglich der Privatsphäre und dem Grad, mit dem unser Privatleben katalogisiert wird, so dass wir von jedem ins Visier genommen werden können mit dem einen Dollar (oder Rubel), den wir online ausgeben. Am Wochenende berichtete Ars Technica, dass Facebook seit langem den Zugriff auf Kontakte, SMS-Daten und Anruflisten auf Android-Geräten verlangt, sich hinter einer verwirrenden Opt-in-Seite als Deckmantel versteckend.
Auf Twitter zeigen Facebook-Nutzer ihre heruntergeladenen, durchkämmten Daten, um auf diversen Vertrauensmissbrauch hinzuweisen: dass das Unternehmen private Telefonate und SMS-Daten aufgezeichnet hat oder dass Facebook persönliche Daten zu Werbezwecken an externe Stellen weitergegeben hat. Laden Sie Ihre eigenen Facebook-, Google- und YouTube-Daten herunter und Sie finden jahrelange persönliche Informationen: jedes Foto, jeden Kommentar, jeden Emoji-Aufkleber, jedes Video, das Sie jemals online gestellt haben; jeden Ort, den Sie besucht haben, und jede IP-Adresse, von der Sie sich eingeloggt haben; jede Suche, jede Datei und jede einzelne Website, die Sie besucht haben. Es ist eine binäre Bestätigung von etwas, das wir vielleicht alle stillschweigend unterdrückt haben. Jede Bewegung, die Sie online machen – und sogar, wo Sie sich in der Welt bewegen – wird sorgfältig katalogisiert, analysiert und schließlich verkauft.
In der Folge dieser Revolte hat ein 2010er Clip von Steve Jobs über die Privatsphäre in den letzten Tagen neue Resonanz erhalten. In einem Interview mit den Journalisten Walt Mossberg und Kara Swisher wird Jobs gebeten, sich über einen damals aktuellen Facebook-Skandal zu äußern und er beschreibt seine Gefühle zur Privatsphäre der Nutzer, während Mark Zuckerberg ins Publikum schaut. “Datenschutz bedeutet, dass die Leute wissen, wofür sie sich anmelden, und zwar in klarer Sprache und wiederholt“, sagt er. „Ich bin ein Optimist; ich glaube, die Leute sind klug, und einige Leute möchten mehr Daten teilen als andere das wollen. Fragen Sie sie. Frag sie jedes Mal. Lass sie sagen, dass Du aufhören sollst, sie zu fragen, ob sie es leid sind, dass Du sie fragst. Lassen Sie sie genau wissen, was Sie mit ihren Daten machen werden.”
Heute wird der Clip als persönliche Warnung von Jobs an Zuckerberg und als Beweis dafür präsentiert, dass Facebook genau wusste, welche Art von Überwachungstools es gebaut hat. In der Tat, Facebooks Geschichte der Datenschutzskandale lässt die aktuellen Enthüllungen umso eklatanter erscheinen.
Im Jahr 2007 entschuldigte sich Zuckerberg erstmals für sein umstrittenes Beacon-Werbeprogramm, das Einkäufe auf externen Websites verfolgte und diese Informationen in den News-Feed eines Nutzers einstellte. “Anstatt schnell zu handeln, haben wir zu lange gebraucht, um die richtige Lösung zu finden. Ich bin nicht stolz darauf, wie wir mit dieser Situation umgegangen sind, und ich weiß, dass wir es besser machen können”, schrieb Zuckerberg damals. Drei Jahre später, in einem schweißtreibenden Verhör auf einer anderen Digital-Konferenz, wich Zuckerberg immer wieder direkten Fragen über die lockere Haltung Facebooks gegenüber der Privatsphäre aus. Mehr als elf Jahre nach Beacon verhält sich Facebook immer noch rücksichtslos mit unseren persönlichen Daten und erzählt immer noch die gleichen Entschuldigungen – der einzige Unterschied ist, dass diesmal die Werbesysteme viel komplizierter sind und die Entschuldigungen in ganzseitigen Anzeigen in der New York Times erscheinen.
Bei der großen Revolte gegen die Zielgruppenauswahl geht es nicht nur um die Plattformen, sondern auch um die Werbebranche. Am Sonntag veröffentlichte The Verge einen Leitartikel eines ehemaligen Digitalvermarkters, in dem es heißt, dass Cambridge Analytica nur die Spitze des Eisbergs ist. “Das gegenwärtige Internet funktioniert auf Basis der Ausbeutung von Nutzerdaten”, schrieb der Autor, bevor er Beispiele von Unternehmen anführte, die die Privatsphäre der Benutzer schamlos offen legen, um Daten zu extrahieren. Es mag offensichtlich erscheinen, aber diese Enthüllung ist tiefgreifend und die Sprache ist wichtig. Marketing ist passiv, aber Zielgruppenauswahl ist aktiv und eindringend. Ein Markt ist ein Ort, an dem Dinge gekauft und verkauft werden. Eine Zielgruppe ist etwas, das gejagt wird. Cambridge Analytica, so argumentiert der Artikel, ist kein Ausreißer, sondern die Blaupause für die riesige Online-Werbewirtschaft des Internets.
Ein Markt ist ein Ort, an dem Dinge gekauft und verkauft werden. Eine Zielgruppe ist etwas, das gejagt wird.
Jetzt in der zweiten Woche ist das Ausmaß des Skandals noch unklar. Wir wissen, dass die von einem Marktforschungsunternehmen gesammelten Daten unlauter an politische Beratungsagenturen weitergegeben wurden und dass Cambridge Analytica auf Anfrage von Facebook die Daten nicht gelöscht hat. Aber es gibt vieles mehr, das wir nicht sicher wissen. Ist diese Art der unlauteren Weitergabe von Daten ein Einzelfall oder ist dies nur Teil eines systemischen Informationskontrollproblems innerhalb von Facebook? Wurden die Daten neben SCL und Cambridge Analytica an Datenhändler, Staaten oder andere Unternehmen weitergegeben? Wurden die spezifischen Profildaten auf irgendeine Weise verwendet, um zu dabei zu helfen, die Wähler bei der Wahl 2016 anzusprechen? Wichtiger noch, sind diese Daten tatsächlich so nützlich, um die Wähler zu überzeugen, wie die Planungsfirmen uns glauben machen wollen? Und sind die Leute von Cambridge Analytica die psychographisch Zielgruppen suchenden bösen Genies, die sie vorgeben zu sein? Oder ist das alles nur ein Haufen Blödsinn – weniger “Verstand-Verarschungsmittel” und mehr Mittelmaß-Marketing?
Es gibt Anzeichen dafür, dass das Team von Cambridge Analytica seinen Einfluss zumindest übertrieben hat. “Als wir die Präsentation zum ersten Mal sahen, war der erste Gedanke: “Warum sollte ich all das Geld für diese Sachen bezahlen, wenn ich unseren Mann bei Facebook dazu bringen kann, das für uns zu tun?” erzählte ein ehemaliger leitender Mitarbeiter der Trump-Kampagne BuzzFeed News. Und einige Forscher und Psychologen bezweifeln die Effektivität der Facebook-Daten bei der politischen Zielgruppenansprache. Im Gespräch mit Wired UK argumentierte ein Forscher, dass psychographisches Profiling leichtgewichtig sei in der aktuellen Wissenschaft. Ein anderer Professor, der das Wählerverhalten innerhalb von Facebook zwischen 2010 und 2015 untersucht hat, sagte dem Herausgeber, dass die Facebook-Daten, die durch Fragebögen wie die von Cambridge Analytica gesammelt wurden, “möglicherweise nicht das messen, was einem wirklich wichtig ist” und die Daten, die das Unternehmen zuvor gesammelt hatte, in Wirklichkeit korrumpiert haben könnten.
Aber nichts davon mag an dieser Stelle mehr von Bedeutung sein. Der Skandal fühlt sich an wie ein Wendepunk, egal wie effektiv Cambridge Analytica gewesen sein mag. Die Empörung hat nicht nur mehr als eine ganze Woche lang die Nachrichtenzyklen überdauert, sondern es scheint auch, als hätte der Big Tech-Rückschlag eine kritische Größe erreicht und eine beispiellose Krise ausgelöst. Es hat die Aufmerksamkeit von Gesetzgebern auf der ganzen Welt erregt – Zuckerberg wurde vom Parlament in Großbritannien vorgeladen und von mehreren Senatoren aufgefordert, im Kongress auszusagen; Facebook wird jetzt von der Federal Trade Commission wegen seines unsachgemäßen Umgangs der Cambridge Analytica-Daten überprüft; und überall auf der Welt werden Führungskräfte von Regierungen in Ländern wie Großbritannien und, schlimmer noch, Singapur sehr hart kritisiert, wo Regierungsbeamte darauf hinweisen, dass das Unternehmen ihr Vertrauen verloren hat. Es wird jetzt – sogar auch von Zuckerberg selbst – direkter über Regulierung gesprochen. Anti-Monopolisten fordern die FTC auf, Facebook umzustrukturieren und schlagen eine Ausgliederung des Facebook Werbenetzwerks und sogar die Umkehrung der Übernahmen von WhatsApp und Instagram vor, um sie zu konkurrierenden sozialen Netzwerken zu machen. Es hat sogar den Anschein, dass es innerhalb von Facebook selbst Verwirrung und ein Gefühl für die schwindende Moral gibt. Und während die Wirkung nicht ausreicht, um Facebook im App Store abzusetzen, haben reguläre, treue Facebook-Nutzer auf der ganzen Welt eine #DeleteFacebook-Kampagne ins Rollen gebracht – ein neuartiger Akt der Rebellion im Internet, trotz zahlreicher früherer Datenschutzskandale.
Einige Nachrichtenereignisse bahnen sich unerwartet ihren Weg, entwickeln ein Eigenleben und lösen überzeugte, dauerhafte Strömungen aus. Zeitpunkte wie diese sind unmöglich vorherzusagen oder zu kontrollieren. Die Schießerei in der Parkland-Schule im Februar dieses Jahres war kein Sonderfall in Bezug auf die Anzahl der Opfer oder das Ausmaß des Grauens, und doch war die Nachwirkung dieser besonderen Tragödie ein Bruchpunkt und führte zu einer völligen Ablehnung des Status quo. Die Parkland-Schüler hatten es einfach satt. Genug von der Vorstellung, keine Kontrolle über die eigene Sicherheit zu haben. Die Nase voll von einem System, in dem Opfer von Waffengewalt scheinbar keine Handlungsfähigkeit haben.
Während die Situationen hochgradig unterschiedlich sind, ist die Frustration im Zentrum des Cambridge Analytica-Skandals ähnlich in Bezug auf Handlungsfähigkeit und Kontrolle. Seit Jahren lesen wir über Datenschutzskandale vom NSA Prism-Programm bis hin zu den Datenverstößen von Equifax bis Ashley Madison. Wir kennen die Warnungen, dass die Plattformen, auf denen wir sind, unsere Daten sammeln und dass jedes Detail unserer Online-Aktivitäten wie das Öl wirkt, das den Wirtschaftsmotor des Internets antreibt, und dass es wenig gibt, was wir tun können, bis auf den vollständigen Ausstieg. Aber dieses Ereignis offenbart die Nachteile dieses Kompromisses – wie die Plattformen, auf denen wir sind, trotz ihres Versprechens, uns zu stärken, genau das Gegenteil getan haben und uns der Handlungsfähigkeit beraubt haben, zu bestimmen was mit unseren persönlichsten Informationen geschieht. Vielleicht liegt es daran, dass Facebook sich so persönlich anfühlt oder dass die Wahl 2016 so umstritten war, aber dieser Skandal entwickelt sich zu einem Ereignis, das die Waagschalen beiseite fallen lässt. Wir haben die Kontrolle verloren. Und wir haben die Nase voll.
Jede Revolution muss entfacht werden. Cambridge Analytica fühlt sich an wie ein Zündfunke.
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