Das Beste zum Schluss?

Die Abschluss-Wahlkampfveranstaltung der Grünen in Düsseldorf mit Annalena Baerbock und Robert Habeck.

24.09.2021

Begonnen wurde die Tour am 9. August in Hildesheim. Baerbock und Habeck haben etwa 100 Wahlkampftermine durchgeführt. Dabei legte Baerbock etwa 14.000 km und Habeck etwa 12.000 km im Wahlkampfbus zurück.

Begonnen wurde die Veranstaltung von Mona Neubaur und Felix Banaszak vom Landesvorsitz den Grünen NRW. Sie wiesen wegen der vielen Anwesenden auf Einhaltung der AHA Regeln hin. Zwei Gebärdendolmetscher übersetzten das Gesagte.

Robert Habeck begann, „am Sonntag schreiben wir Geschichte.“ Er beschäftigte sich mit der aktuellen politischen Lage und verwies auf die unzureichenden Pläne der Union und SPD, um die gesetzten Klimaziele zu erreichen. Habeck warnte vor zunehmendem Populismus, wenn Ankündigungen und Versprechungen von der Politik nicht eingehalten würden. Die Leute könnte zunehmend in eine Haltung, „gegen die Politik, gegen die da oben“ geraten. Er wünsche sich eine politische Kultur, in der man duldsamer ist, sich zu Entscheidungen bekennt, „es herrscht eine grassierende Verantwortung in der Bundesrepublik“.

Habeck stellte den Plan der Grünen vor, ein eigenes Klimaschutzministerium zu schaffen, „damit die Verantwortung in einem Haus liegt“. Er stehe, bezogen auf die aktuelle Situation, für „Antworten, Verantwortung und Freiheit. Freiheit gibt es nicht mit Regellosigkeit“. Einige Menschen bestünden auf einer Regellosigkeit, mit der es aber keine Freiheit für alle gäbe.

Annalene Baerbock erklärte zum Auftakt, „diese Wahl ist eine Richtungswahl. Eine Klimawahl.“ Sie bekannte, „wir brauchen noch mehr Stimmen“. Wie Habeck verwies auch sie auf die aus ihrer Sicht mangelnde Bereitschaft der bisherigen Regierung aus Union und SPD, die notwendigen Klimaziele erreichen zu wollen. „Klimaziele auf Plakate zu schreiben, reicht nicht aus“. Eine Kohleausstieg spätestens im Jahr 2030, saubere Autos auf die Straße zu bringen, auf jedes Dach eine Solaranlage, nannte Baerbock als ihre Ziele.

Die jetzige Wahl sei eine Generationen Wahl. Kinder und Jugendliche müssten in den Mittelpunkt gestellt werden. Die Kinder aus der Armut geholt werden. Dazu möchte sie eine Kindergrundsicherung einführen.

Zur Außenpolitik habe Baerbock eine Vision für ein gemeinsames Europa. Sie sei für die Hilfe von Menschen in Not, für eine Werteunion nach innen und außen. „Hass und Hetze haben keinen Platz in einer Demokratie.“ Dafür gab es langen Applaus der Besucher.

Der Schadowplatz in Düsseldorf war sehr gut gefüllt. Laut Veranstalter waren etwa 4.500 Leute gekommen. Zwei ältere Damen, in den 70igern, sagten, sie wären hier „um die beiden in Natura zu erleben.“ Sie hätten noch nicht gewählt. Jetzt wüssten sie noch nicht genau, ob die Veranstaltung ihnen zur Entscheidungsfindung weiter geholfen hätte, „aber morgen gehen wir wählen“.

Der Sprecher der Grünen NRW nannte als Grund der Abschlussveranstaltung in Düsseldorf, „dies sollte in dem bevölkerungsreichsten Bundesland stattfinden, außerhalb Berlins. Es geht uns um Klima, Gerechtigkeit und für nachhaltigen Wohlstand zu sorgen.“

Die Veranstaltung begann bei bewölktem grauen Himmel. Zum Schluss waren zwischen hellen Wolken freundliche blaue Anteile zu sehen. Die vielen Besucher schienen die gesamte Veranstaltung ähnlich freundlich zu sehen. Es gab immer wieder viel Applaus, geäußerte Zustimmung zu den genannten Plänen.

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Die Welt fällt auseinander. Und mit ihr meine psychische Verfassung

Übersetzung von “The world is falling apart. And so is my mental health”
https://www.newstatesman.com/world/2019/03/world-falling-apart-and-so-my-mental-health

Brexit, Trump, Windrush, faschistische Führer und lügende Politiker, die Nachrichten sind so düster, dass ich, wie viele von uns, Probleme habe.

Hannah Jane Parkinson , 14. März 2019, NewStatesman

Manchmal ist es schwer, es bei einer psychischen Erkrankung zu wissen. In einer Minute fliegen Sie und in der nächsten rasen Sie nach unten, die einzelnen Fenster in den Gebäuden erkennend und die Farben der Jacken und die Muster vom Kaugummi auf den Straßen. Es kann Auslöser geben und es kann Anzeichen geben, und manchmal kommen die Auslöser zuerst und manchmal die Zeichen, und in einigen Fällen kann der Abstieg oder Aufstieg schwierig zu verstehen sein.

Wie wir wissen, können selbst die reichsten Menschen, die erfolgreichsten, die populärsten, depressiv werden und psychische Erkrankungen durchleben (und eine schlechte psychische Verfassung, was nicht das Gleiche ist, obwohl sie ineinander greifen. Wir alle erleben Zeiten mit einer schlechten psychischen Verfassung). Immer mehr Menschen wissen, dass diese Krankheiten nicht unterscheiden. Menschen können genetisch für psychische Erkrankungen prädisponiert sein oder sind anfällig für psychische Krankheiten, aber auch die Umwelt hat einen Einfluss. Natürlich kann das Äußere das Innere beeinflussen. Deshalb ist Folter ein Thema. Deshalb beißen sich Tiere in Zoos. Deshalb schließen wir in Bussen frustriert die Augen, wenn die Leute keinen Kopfhörer benutzen.

Die Sache ist die: Ich habe Probleme derzeit. Und ich habe es nicht kommen sehen. Manchmal gibt es keinen Grund, es ist nur, dass  mein Gehirn nicht so gut funktioniert. Aber manchmal gibt es einen. Eine Trennung, ein Schlamassel, zu erkennen, dass Sie das Ende von Killing Eve erreicht haben. Dieses Mal war ich nicht sicher.

Aber jetzt fällt mir auf, dass ich glaube, einen großen Anteil daran könnte haben, mitten in einer absoluten, nie endenden Katastrophe zu leben, die die heutige Welt darstellt. Die Skandale, mit denen ich aufgewachsen bin, waren Dinge wie Carole Caplans komische Freundschaft mit Cherie Blair (Energiekristalle waren involviert). Da waren Afghanistan und der Irak. Der Tod von David Kelly. Gewaltig, natürlich – aber ich war zu jung, um die ganze Auswirkung und Bedeutung zu erfassen. Ich bin bei Demonstrationen mitgegangen, aber vielleicht habe ich sie nicht ganz verstanden. Es gab den Kosovo-Krieg – aber die Schule, die ich besucht habe, nahm freudig Flüchtlinge auf, und wir spielten Fußball mit  Schaumstoffbällen, die bei Regen schlecht rochen. Ich habe Namen wie Muhamet entdeckt.

Politisch bin ich ein verhätscheltes Kind der 90er Jahre. Labour wurde dreimal gewählt, und was immer Sie davon halten, es schien alles relativ stabil zu sein. Die wichtigsten moralischen Bedenken waren, dass Zuckerstangen in vermeintlichen Zigarettenpackungen steckten. Ich sage nicht, dass alles eitel Sonnenschein war – der Völkermord in Ruanda, hallo –, aber jeder Tag fühlte sich nicht so an, als wäre man an eine Folterbank angebunden.

Im Jahr 2019 ist unsere Regierung einer Mischung aus Inkompetenz, Narzissmus und Borniertheit. Wir haben Leute zuständig für Bereiche, die scheinbar nicht wissen, wovon sie sprechen, und noch schlimmer, die keine Scheu haben, es zu zeigen. Und noch schlimmer als das, oft tragen sie ihre Unwissenheit wie eine Medaille. Der Brexit-Prozess ist verhängnisvoll geworden: Das Parlament ist, wie gestern Abend gezeigt, in einem totalen Chaos. Wir haben eine Regierung, die buchstäblich regierungsunfähig ist.

Unser geschätztes NHS ächzt. Diese drei Buchstaben drohen wie ein altes Ladenschild zu zerfallen. Menschen sterben, Wochen nachdem sie als arbeitsfähig erklärt wurden. Die Windrush-Generation wird einer entsetzlichen Behandlung ausgesetzt, Leben sind ruiniert.  440 Obdachlose sterben auf unserer Straßen in einem Kalenderjahr. Wir haben Politiker in Friedenszeiten, die an die guten alten Zeiten des Krieges erinnern. Gerade wenn ich denke, dass etwas weder absurder noch moralisch verwerflicher werden kann, erweist sich meine Vorstellung als falsch. Unsere aller Vorstellungen erweisen sich als falsch.

Ich wache auf zu der schreienden Kehle der Welt. Sie können Social Media ignorieren. Sie können ausschalten – sowohl metaphorisch als auch wörtlich. Aber in meinem Beruf und in vielen unserer Jobs ist das schwierig. Leute, die ich kenne, die alle gute und sympathische Leute offline sind, speien gegenseitig Beleidigen über das Netz. Leute, die ich noch nie getroffen habe, nennen mich einen “Mistkerl“. Manchmal ist es für die Zustimmung zu etwas, manchmal für eine Ablehnung von etwas, manchmal für den Vorbehalt eines Urteils. Manchmal dafür, zwei Vorstellungen auf einmal in meinem Kopf zu haben, was anscheinend nicht mehr erlaubt ist.

Die Titelseiten der Zeitungen verkünden Feinde des Volkes. Ein notorischer Lügner, so viele notorische Lügner, haben immer noch die Chance, der nächste Premierminister zu werden. Wann man darüber nachdenkt, eine notorische Lügnerin ist die Premierministerin. Die Opposition ist in der Auflösung begriffen. Auf der anderen Seite des Atlantiks ist ein Mann, der sagte, er könnte jemanden auf der Straße erschießen, der Präsident. Die Menschen tragen Petroleumfackeln und wechseln ihre Avatare zu Hakenkreuzen. Babys werden aus den Armen ihrer Eltern gerissen und möglicherweise nie wieder zusammenkommen. Ich lese Philip Roths The Plot Against America noch einmal, und es erscheint nicht so schlimm.

In Europa erstarken die Rechten. Ungarns quasi-faschistischer Viktor Orbán schreibt ein Dankesbrief an die konservativen Europaabgeordneten, die ihn unterstützt haben. Ein Brite ermordet eine Abgeordnete. Ein polnischer Bürgermeister wird auf der Bühne erstochen. Kinder werden auf Popkonzerten in die Luft gesprengt. Die Linke zuckt mit den Schultern zu Antisemitismus, die Rechte zu Islamfeindlichkeit. Andernorts wird Bolsonaro, Brasiliens “stolzer Homophober“, erdrutschartig gewählt. Der Präsident der Philippinen, Rodrigo Duterte, rühmt sich, einst jemanden erstochen zu haben. Saudi-Arabien verbringt seine Zeit damit, Journalisten brutal zu töten, Jemen zu bombardieren, Frauen zu inhaftieren und öffentlich einen Mann zu kreuzigen und zu enthaupten, zum Teil für schwulen Sex.

Ich bin erschöpft. Der Globus – von dem manche jetzt wieder überzeugt sind, dass er eine Scheibe ist – lastet auf mir. Ich bin nicht in Gefahr. Ich bin kein Russe, der ins Gefängnis geworfen wird. Ich bin kein Syrer, der im Keller Unterschlupf sucht.

Sicher, ich habe Mühe, die Miete zu zahlen. Wenn ich eine Freundin in der Öffentlichkeit küsse, fragt mich manchmal ein Typ mit Alkoholfahne, ob er mitmachen kann. Ich murmele Kindheitstraumata den Schuhen der Therapeuten. Aber am meisten bin ich es müde nicht mehr zu glauben. Müde davon, Menschen in Zeitungskolumnen und in Fernsehsendungen zu sehen, die darüber sprechen zensiert zu werden. Der Planet stirbt, während Länder sich aus dem Pariser Abkommen zurückziehen. Schulkinder, die für ihr Leben demonstrieren, werden bestraft.

Manchmal, wenn ich die Nachrichten bei blauem Licht lese oder die hasserfüllteste Polemik in einer Zeitung auseinander nehme, kann ich es kaum ertragen. Gott, wir hören die Leute sagen, die Welt ist so deprimierend im Moment! Und sie ist es. Ich denke wirklich, ehrlich, dass es so ist. Mein Kopf fühlt sich an, als hätte ich 20 Tabs geöffnet und alle Autoplay-Videos überschneiden sich.

Ich weiß, dass ich nicht die einzige bin, die das empfindet. Ich weiß, man muss keine psychische Krankheit haben, um es zu fühlen. Diese fieberhaften Zeiten wirken sich auf die psychische Gesundheit so vieler Menschen aus. Es geht nicht darum, dass jemand empfindlich ist (und sind nicht die Leute, die diese Anschuldigungen erheben, immer die  dünnhäutigsten?) Es geht darum, völlig ausgelaugt zu sein und zu ertrinken, als würde man mit jedem Atemzug nur Wasser einatmen.

Ich möchte hier mit Hoffnung aufhören, auch wenn ich fürchte, dass ein weiter Weg vor uns liegt.  Aber sie ist da, bei den Frauen (und Männern), die die #MeToo-Bewegung anführen; bei den Kindern, die sich für eine Waffenreform einsetzen (obwohl es zusätzlich emotional anstrengend ist, die Geschichten dahinter zu lesen). Und selbst Twitter kann mich zum Lachen bringen oder tief beeindrucken: Es gibt Leute hier, die extrem geistreich sind, schlau wie ein Fuchs, klug wie Professoren – weil sie Professoren sind. Die Zeitzeugnisse von Menschen zu hören, die den Tumult der Vergangenheit erlebt haben, und weiterzumachen.

Aber ich habe Probleme. Ich melde mich bei den Ärzten, wieder. Ich gehe spazieren, um mich im Gehölz der Bäume vor der Welt zu verstecken. Ich schalte mein Telefon in den Flugmodus.

Hannah Jane Parkinson ist eine Journalistin beim Guardian.

 

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Ein Verbot anonymer Social Media Accounts wird mehr schaden als nützen

Übersetzung von “Banning anonymous social media accounts will do more harm than good”
https://www.theguardian.com/commentisfree/2018/sep/25/angela-rayner-social-media-online-abuse-labour-party

James Ball, The Guardian Opinion, 25. September 2018

Angela Rayner von der Labour Partei möchte Online-Belästigungen beenden, aber sie versteht das Leben der Menschen außerhalb der politischen und der Medien-Blasen nicht.

Angela Rayner ist die Nächste in der langen Reihe von Politikern, die vorschlagen, dass anonyme Social Media Accounts verboten werden sollten, in einem Vorstoß am Sonntag gegen beleidigendes und bedrohendes Verhalten im Internet hart durchzugreifen.

Es besteht kein Zweifel, dass Rayner ernsthaft ist und dass das Problem, auf das sie sich bezieht, ein erhebliches Problem ist, mit dem sie und ihre Kollegen Erfahrungen aus erster Hand haben. Die Realität für viele Parlamentsmitglieder und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ist, dass soziale Medien eine ständige Flut von Beleidigungen und Bedrohungen darstellen, die für Frauen und insbesondere für farbige Frauen oder Transfrauen weitaus schlimmer ist.

Angesichts der umfangreichen Erfahrung bezüglich des Schadens, der durch diese Accounts verursacht wird, ist es leicht einzusehen, warum die Forderung nach einem Verbot vernünftig erscheint. In der Realität würde es jedoch einer größeren Anzahl von Menschen schaden, als es helfen würde.

Die Erfahrung der meisten Menschen in den sozialen Medien ist nicht vergleichbar mit denen in der Öffentlichkeit, die im Allgemeinen dutzende, wenn nicht gar hunderttausende Anhänger haben. Der typische Nutzer hat weniger als 500. Wenn öffentliche Personen hunderte oder tausende von Antworten am Tag erhalten, bekommen viele Nutzer eine oder zwei, größtenteils von Leuten, die sie kennen.

Die Art von anhaltenden Schmähungen, die von Parlamentsmitgliedern und anderen erlebt wird, ist in der breiten Gesellschaft viel seltener – und während es das nicht entschuldigt oder bedeutet, dass es nicht thematisiert werden sollte, kann das die Art und Weise, wie Politiker Anonymität und soziale Medien diskutieren, verzerren.

In der Praxis sind in Großbritannien die meisten Menschen viel weniger frei, sich – online oder offline – zu äußern als Parlamentarier, Aktivisten und Journalisten, oft aufgrund von Beschränkungen seitens ihrer Arbeitgeber. Für Millionen von Beschäftigten des öffentlichen Sektors, einschließlich Polizei und staatlichem Gesundheitsdienst, gibt es Regularien gegen die Äußerung von politischen Ansichten, so dass, wenn jemand Politik online diskutieren möchte – was nachvollziehbar erscheint -, er ein anonymes Konto verwenden müsste.

Die gleichen Befürchtungen gelten auch für die Privatwirtschaft: Wir haben genug Geschichten von Menschen gehört, die ihren Job verloren haben, weil sie sich lang und breit über ihren Arbeitgeber ausgelassen haben oder Bilder von einer wilden Nacht veröffentlicht haben, um dieses Risiko als hypothetisch zu betrachten: Menschen haben Recht damit sich zu sorgen, unter ihrem eigenen Namen zu posten.

Selbst diejenigen, die unter ihrem eigenen Namen posten können, erstellen oft anonyme oder geschützte “Alternativ”-Accounts, um über ihr Familienleben, ihre psychische Gesundheit, ihr Liebesleben zu posten oder über andere zu meckern – und während wir uns über die letzteren ärgern, ist es kaum kriminelles oder untersagbares Verhalten.

Aber wo das Vereinigte Königreich führt, können Diktatoren folgen: Der Vorschlag von Rayner und anderen, dass anonyme Benutzerkonten illegitim sind, erlaubt autoritären Führern, dasselbe zu sagen, einen Kanal für Oppositionsreden zu unterdrücken.

Ein Verbot anonymer Accounts ist nicht nur illiberal, es ist auch ein Versagen bei der Solidarität und ein Versagen, das wirkliche Leben derjenigen außerhalb der politischen- und der Medien-Blasen zu verstehen.

Rayner gilt zu Recht als eine der Abgeordneten, die am ehesten mit der Welt außerhalb dieser Blase in Verbindung steht, aber ihr Vorschlag für Social Media ist symptomatisch für eine Politik, die zu oft die Bedürfnisse dieser Menschen nicht erkennt.

In der Offline-Welt verkörperte dies ein Manifest von Labour aus dem Jahr 2017, das enorme Angebote für Züge und Studentenkredite machte, aber fast nichts für Busse, die viel häufiger von Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen, besonders außerhalb des Südostens, benutzt werden.

Das Leben von Menschen in Politik und Medien unterscheidet sich sehr von denen der Menschen, die sie vertreten oder von den Zielgruppen, für die sie schreiben – und was angegangen werden muss und auf welche Art und Weise wird für beide Gruppen verschieden sein.

Rayners Vorschlag zur Online-Anonymität ist vielleicht das offensichtlichste Beispiel dafür, wo sich diese Interessen unterscheiden können – aber es ist bei weitem nicht das Einzige.

 

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Zuckerberg and the EP – a strange encounter

“Here’s the picture of Zuckerberg arriving that the EP thought was so important it set up a whole second livestream to broadcast. Perfectly normal behaviour.” | Alex Hern liveblogs about this sad affair aka PR activity

www.*theguardian.com/technology/live/2018/may/22/mark-zuckerberg-facebook-appears-before-european-parliament-live-updates

My tweets:

● “each MEP gets just three minutes to quiz Zuckerberg – sixty seconds less than the American senators got” – That’s sorted then … 🙄

●“I am determined to keep building tools that bring people together in meaningful ways.” – Zuckerberg. Sounds like a threat.

● “every MEP is asking their questions at once, and then Zuckerberg will answer them all at the end” – Or will he?

● “Is it morally acceptable to collect non-Facebook users’ data without them knowing what you do with it?” – Syed Kamall

 ● “Will Facebook publish its tax affairs in every country?” – Philippe Lamberts. Uh-oh, things get delicate.

● Jan Philipp Albrecht asks Zuckerberg “Will you promise me …” – Seriously??

● “At this point, the format has largely allowed Zuckerberg to simply repeat his opening statement,” – liveblog. Quite. Who agreed to this format?

● “The average person uses eight different tools… ” (Zuckerberg doesn’t mention that four of those tools are owned by Facebook, and a number of the other eight are legacy technologies such as email, SMS and phone calls).” – liveblog

● “even if they’re not signed in we need to know how they’re using the service to prevent bad activity.” – Zuckerberg
His creepy side is showing.

● “We are going through and investigating ourselves up front.” – Zuckerberg
(But you will never learn of it.)

● “Zuckerberg is wrapping up with his standard promise to “follow up with each of you after… we’re going to have someone come to do a full hearing after.”” – liveblog. Sure thing.

● “But Zuckerberg refuses to answer the [latest] questions, promising to get to them in writing, and is backed up by Tajani, who ultimately cuts off the MEPs trying to get their specific questions answered”. – liveblog

● “with the president of the EP, Antonio Tajani, eventually intervening to declare that time had run out, and that Zuckerberg would only be required to provide written answers at his leisure.” – liveblog. At his leisure. That settles everything, doesn’t it? 🤨

Thanks to Alex Hern for bearing it 🙂


Facebook hatte schon unzählige Datenschutz-Skandale. Aber dieser ist anders.

Übersetzung von “Facebook Has Had Countless Privacy Scandals. But This One Is Different.”
https://www.buzzfeed.com/charliewarzel/why-facebooks-data-scandal-just-wont-quit?utm_term=.dxoQd8m01&bftwnews#.cm2zmk59N

Charlie Warzel, BuzzFeed News, 26. März 2018

Es ist ein Moment, der uns zwingt, alle zusammen, zurückzutreten und darüber nachzudenken, was wir für eine bequemere und vernetzte Welt geopfert haben.

Der Cambridge Analytica-Skandal von Facebook hat alles: merkwürdige Milliardäre, ein einst verehrtes Start-up verwandelt in einen Monolith, einen politischer Söldner, der einem Bond-Bösewicht mit seiner undurchsichtigen, psychografischen Profile-Firma ähnelt, einen exzentrischer Whistleblower, Millionen von Profilen mit durchgesickerten Facebook-Daten, Steve Bannon, die Mercers und – ganz entscheidend – Donald Trump, und die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl 2016.

Dem Anschein nach las sich der Vorfall als die Bestätigung der schlimmsten Ängste vieler Menschen – dass die Internet-Plattformen, auf denen wir sind, uns manipulieren und die persönlichen Informationen, die wir in gutem Glauben zur Verfügung gestellt haben, ohne unser Wissen verwenden. Hinzu kommt, dass eines der vielen unbeabsichtigten Ergebnisse hiervon die Wahl von Donald Trump gewesen sein könnte, und Sie haben die Voraussetzungen für eine dauerhafte Empörung.

Während die Hauptakteure des Skandals – Facebook, Cambridge Analytica und Trump – die Schlagzeilen beherrschen, bilden sie doch nur den Rahmen – und sind die perfekten Auslöser für echte Empörung. Aber beim Cambridge Analytica-Skandal geht es gar nicht um Cambridge Analytica.

Es ist ein Datenerfassungsskandal. Dies ist ein Skandal, der durch einen bestimmten Vorfall ausgelöst wurde, aber es geht im Großen und Ganzen darum, wie übergroße  Unternehmen uns verfolgen, unsere Informationen sammeln und uns dann als erzwungene Zielgruppen verkaufen für komplexen Datenkampagnen, die für alles mögliche von Windeln über Matratzen bis hin zu Impfgegner-Literatur reichen können.

Die Geschichte wird nicht wegen der Abneigung gegenüber der politischen Datennutzung andauern, sondern weil sie tief sitzende Ängste über unsere Privatsphäre im Internet absolut anspricht, Ängste, die seit Jahren aufgebaut werden. Tatsächlich könnte der Cambridge Analytica-Skandal der Auslöser für einen viel größeren Aufstand sein – eine umfassende persönliche und öffentliche Abrechnung mit der Art und Weise, wie wir das Internet in den letzten zehn Jahren genutzt haben. Es ist ein Moment, der uns zwingt, alle zusammen, zurückzutreten und darüber nachzudenken, was wir für eine bequemere und vernetzte Welt geopfert haben. Und mit einem Internet, das sich zunehmend giftig anfühlt, ist es schwer sich die Kompromisse anzusehen, die wir eingegangen sind und dabei das Gefühl zu haben, dass wir einen fairen Handel bekommen.

Sie können sehen, dass diese Rechnung bereits in den Medien aufzugehen beginnt, da sich der Fokus von den Taten Cambridge Analyticas auf mehr allgemeine Bedenken verschiebt, bezüglich der Privatsphäre und dem Grad, mit dem unser Privatleben katalogisiert wird, so dass wir von jedem ins Visier genommen werden können mit dem einen Dollar (oder Rubel), den wir online ausgeben. Am Wochenende berichtete Ars Technica, dass Facebook seit langem den Zugriff auf Kontakte, SMS-Daten und Anruflisten auf Android-Geräten verlangt, sich hinter einer verwirrenden Opt-in-Seite als Deckmantel versteckend.

Auf Twitter zeigen Facebook-Nutzer ihre heruntergeladenen, durchkämmten Daten, um auf diversen Vertrauensmissbrauch hinzuweisen: dass das Unternehmen private Telefonate und SMS-Daten aufgezeichnet hat oder dass Facebook persönliche Daten zu Werbezwecken an externe Stellen weitergegeben hat. Laden Sie Ihre eigenen Facebook-, Google- und YouTube-Daten herunter und Sie finden jahrelange persönliche Informationen: jedes Foto, jeden Kommentar, jeden Emoji-Aufkleber, jedes Video, das Sie jemals online gestellt haben; jeden Ort, den Sie besucht haben, und jede IP-Adresse, von der Sie sich eingeloggt haben; jede Suche, jede Datei und jede einzelne Website, die Sie besucht haben. Es ist eine binäre Bestätigung von etwas, das wir vielleicht alle stillschweigend unterdrückt haben. Jede Bewegung, die Sie online machen – und sogar, wo Sie sich in der Welt bewegen – wird sorgfältig katalogisiert, analysiert und schließlich verkauft.

In der Folge dieser Revolte hat ein 2010er Clip von Steve Jobs über die Privatsphäre in den letzten Tagen neue Resonanz erhalten. In einem Interview mit den Journalisten Walt Mossberg und Kara Swisher wird Jobs gebeten, sich über einen damals aktuellen Facebook-Skandal zu äußern und er beschreibt seine Gefühle zur Privatsphäre der Nutzer, während Mark Zuckerberg ins Publikum schaut. “Datenschutz bedeutet, dass die Leute wissen, wofür sie sich anmelden, und zwar in klarer Sprache und wiederholt“, sagt er. „Ich bin ein Optimist; ich glaube, die Leute sind klug, und einige Leute möchten mehr Daten teilen als andere das wollen. Fragen Sie sie. Frag sie jedes Mal. Lass sie sagen, dass Du aufhören sollst, sie zu fragen, ob sie es leid sind, dass Du sie fragst. Lassen Sie sie genau wissen, was Sie mit ihren Daten machen werden.”

Heute wird der Clip als persönliche Warnung von Jobs an Zuckerberg und als Beweis dafür präsentiert, dass Facebook genau wusste, welche Art von Überwachungstools es gebaut hat. In der Tat, Facebooks Geschichte der Datenschutzskandale lässt die aktuellen Enthüllungen umso eklatanter erscheinen.

Im Jahr 2007 entschuldigte sich Zuckerberg erstmals für sein umstrittenes Beacon-Werbeprogramm, das Einkäufe auf externen Websites verfolgte und diese Informationen in den News-Feed eines Nutzers einstellte. “Anstatt schnell zu handeln, haben wir zu lange gebraucht, um die richtige Lösung zu finden. Ich bin nicht stolz darauf, wie wir mit dieser Situation umgegangen sind, und ich weiß, dass wir es besser machen können”, schrieb Zuckerberg damals. Drei Jahre später, in einem schweißtreibenden Verhör auf einer anderen Digital-Konferenz, wich Zuckerberg immer wieder direkten Fragen über die lockere Haltung Facebooks gegenüber der Privatsphäre aus. Mehr als elf Jahre nach Beacon verhält sich Facebook immer noch rücksichtslos mit unseren persönlichen Daten und erzählt immer noch die gleichen Entschuldigungen – der einzige Unterschied ist, dass diesmal die Werbesysteme viel komplizierter sind und die Entschuldigungen in ganzseitigen Anzeigen in der New York Times erscheinen.

Bei der großen Revolte gegen die Zielgruppenauswahl geht es nicht nur um die Plattformen, sondern auch um die Werbebranche. Am Sonntag veröffentlichte The Verge einen Leitartikel eines ehemaligen Digitalvermarkters, in dem es heißt, dass Cambridge Analytica nur die Spitze des Eisbergs ist. “Das gegenwärtige Internet funktioniert auf Basis der Ausbeutung von Nutzerdaten”, schrieb der Autor, bevor er Beispiele von Unternehmen anführte, die die Privatsphäre der Benutzer schamlos offen legen, um Daten zu extrahieren. Es mag offensichtlich erscheinen, aber diese Enthüllung ist tiefgreifend und die Sprache ist wichtig. Marketing ist passiv, aber Zielgruppenauswahl ist aktiv und eindringend. Ein Markt ist ein Ort, an dem Dinge gekauft und verkauft werden. Eine Zielgruppe ist etwas, das gejagt wird. Cambridge Analytica, so argumentiert der Artikel, ist kein Ausreißer, sondern die Blaupause für die riesige Online-Werbewirtschaft des Internets.

Ein Markt ist ein Ort, an dem Dinge gekauft und verkauft werden. Eine Zielgruppe ist etwas, das gejagt wird.

Jetzt in der zweiten Woche ist das Ausmaß des Skandals noch unklar. Wir wissen, dass die von einem Marktforschungsunternehmen gesammelten Daten unlauter an politische Beratungsagenturen weitergegeben wurden und dass Cambridge Analytica auf Anfrage von Facebook die Daten nicht gelöscht hat. Aber es gibt vieles mehr, das wir nicht sicher wissen. Ist diese Art der unlauteren Weitergabe von Daten ein Einzelfall oder ist dies nur Teil eines systemischen Informationskontrollproblems innerhalb von Facebook? Wurden die Daten neben SCL und Cambridge Analytica an Datenhändler, Staaten oder andere Unternehmen weitergegeben? Wurden die spezifischen Profildaten auf irgendeine Weise verwendet, um zu dabei zu helfen, die Wähler bei der Wahl 2016 anzusprechen? Wichtiger noch, sind diese Daten tatsächlich so nützlich, um die Wähler zu überzeugen, wie die Planungsfirmen uns glauben machen wollen? Und sind die Leute von Cambridge Analytica die psychographisch Zielgruppen suchenden bösen Genies, die sie vorgeben zu sein? Oder ist das alles nur ein Haufen Blödsinn – weniger “Verstand-Verarschungsmittel” und mehr Mittelmaß-Marketing?

Es gibt Anzeichen dafür, dass das Team von Cambridge Analytica seinen Einfluss zumindest übertrieben hat. “Als wir die Präsentation zum ersten Mal sahen, war der erste Gedanke: “Warum sollte ich all das Geld für diese Sachen bezahlen, wenn ich unseren Mann bei Facebook dazu bringen kann, das für uns zu tun?” erzählte ein ehemaliger leitender Mitarbeiter der Trump-Kampagne BuzzFeed News. Und einige Forscher und Psychologen bezweifeln die Effektivität der Facebook-Daten bei der politischen Zielgruppenansprache. Im Gespräch mit Wired UK argumentierte ein Forscher, dass psychographisches Profiling leichtgewichtig sei in der aktuellen Wissenschaft. Ein anderer Professor, der das Wählerverhalten innerhalb von Facebook zwischen 2010 und 2015 untersucht hat, sagte dem Herausgeber, dass die Facebook-Daten, die durch Fragebögen wie die von Cambridge Analytica gesammelt wurden, “möglicherweise nicht das messen, was einem wirklich wichtig ist” und die Daten, die das Unternehmen zuvor gesammelt hatte, in Wirklichkeit korrumpiert haben könnten.

Aber nichts davon mag an dieser Stelle mehr von Bedeutung sein. Der Skandal fühlt sich an wie ein Wendepunk, egal wie effektiv Cambridge Analytica gewesen sein mag. Die Empörung hat nicht nur mehr als eine ganze Woche lang die Nachrichtenzyklen überdauert, sondern es scheint auch, als hätte der Big Tech-Rückschlag eine kritische Größe erreicht und eine beispiellose Krise ausgelöst. Es hat die Aufmerksamkeit von Gesetzgebern auf der ganzen Welt erregt – Zuckerberg wurde vom Parlament in Großbritannien vorgeladen und von mehreren Senatoren aufgefordert, im Kongress auszusagen; Facebook wird jetzt von der Federal Trade Commission wegen seines unsachgemäßen Umgangs der Cambridge Analytica-Daten überprüft; und überall auf der Welt werden Führungskräfte von Regierungen in Ländern wie Großbritannien und, schlimmer noch, Singapur sehr hart kritisiert, wo Regierungsbeamte darauf hinweisen, dass das Unternehmen ihr Vertrauen verloren hat. Es wird jetzt  – sogar auch von Zuckerberg selbst – direkter über Regulierung gesprochen. Anti-Monopolisten fordern die FTC auf, Facebook umzustrukturieren und schlagen eine Ausgliederung des Facebook Werbenetzwerks und sogar die Umkehrung der Übernahmen von WhatsApp und Instagram vor, um sie zu konkurrierenden sozialen Netzwerken zu machen. Es hat sogar den Anschein,  dass es innerhalb von Facebook selbst Verwirrung und ein Gefühl für die schwindende Moral gibt. Und während die Wirkung nicht ausreicht, um Facebook im App Store abzusetzen, haben reguläre, treue Facebook-Nutzer auf der ganzen Welt eine #DeleteFacebook-Kampagne ins Rollen gebracht – ein neuartiger Akt der Rebellion im Internet, trotz zahlreicher früherer Datenschutzskandale.

Einige Nachrichtenereignisse bahnen sich unerwartet ihren Weg, entwickeln ein Eigenleben und lösen überzeugte, dauerhafte Strömungen aus. Zeitpunkte wie diese sind unmöglich vorherzusagen oder zu kontrollieren. Die Schießerei in der Parkland-Schule im Februar dieses Jahres war kein Sonderfall in Bezug auf die Anzahl der Opfer oder das Ausmaß des Grauens, und doch war die Nachwirkung dieser besonderen Tragödie ein Bruchpunkt und führte zu einer völligen Ablehnung des Status quo. Die Parkland-Schüler hatten es einfach satt. Genug von der Vorstellung, keine Kontrolle über die eigene Sicherheit zu haben. Die Nase voll von einem System, in dem Opfer von Waffengewalt scheinbar keine Handlungsfähigkeit haben.

Während die Situationen hochgradig unterschiedlich sind, ist die Frustration im Zentrum des Cambridge Analytica-Skandals ähnlich in Bezug auf  Handlungsfähigkeit und Kontrolle. Seit Jahren lesen wir über Datenschutzskandale vom NSA Prism-Programm bis hin zu den Datenverstößen von Equifax bis Ashley Madison. Wir kennen die Warnungen, dass die Plattformen, auf denen wir sind, unsere Daten sammeln und dass jedes Detail unserer Online-Aktivitäten wie das Öl wirkt, das den Wirtschaftsmotor des Internets antreibt, und dass es wenig gibt, was wir tun können, bis auf den vollständigen Ausstieg. Aber dieses Ereignis offenbart die Nachteile dieses Kompromisses – wie die Plattformen, auf denen wir sind, trotz ihres Versprechens, uns zu stärken, genau das Gegenteil getan haben und uns der Handlungsfähigkeit beraubt haben, zu bestimmen was mit unseren persönlichsten Informationen geschieht. Vielleicht liegt es daran, dass Facebook sich so persönlich anfühlt oder dass die Wahl 2016 so umstritten war, aber dieser Skandal entwickelt sich zu einem Ereignis, das die Waagschalen beiseite fallen lässt. Wir haben die Kontrolle verloren. Und wir haben die Nase voll.

Jede Revolution muss entfacht werden. Cambridge Analytica fühlt sich an wie ein Zündfunke.

 

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Ein ‘Minister für Einsamkeit’ ist ein Trostpflaster für die Missstände durch Neoliberalismus

Übersetzung von “A ‘Minister for Loneliness’ is a sticking plaster for the ills of neoliberalism”
https://www.opendemocracy.net/uk/peter-coville/minister-for-loneliness-is-sticking-plaster-for-ills-of-neoliberalism

Peter Coville, openDemocracyUK, 22. Januar 2018

Ist Einsamkeit der Preis, den wir für eine Ideologie zahlen, die die Freiheit des Einzelnen und eine “Wahl” über das Kollektiv und die Gemeinschaft stellt, die die Bindung an andere als Hindernis für das Streben nach Profit betrachtet?

Jeder, der wirklich weiß, was Einsamkeit ist, kennt es gut: das permanente, vage Schmerzempfinden in der Brust, wenn man sich tage-, wochen- oder gar monatelang nicht tiefer gehend mit einem anderen Menschen beschäftigt hat, und doch ist man hier, wieder einmal allein. Wenn es endlich soweit ist, kann der Moment, in dem jemand etwas zu Dir sagt, das über Arbeitsaufträge oder nachbarschaftliche Höflichkeiten hinausgeht, Deine Hand berührt oder Dich umarmt, so mächtig sein, dass Du befürchtest, dass deine Beine unter dir nachgeben oder dass Du unkontrolliert zu schluchzen beginnst. Aber Sie schaffen es – mehr oder weniger -, den Schein zu wahren.

Wer Einsamkeit wirklich kennt, von dieser tiefen Art, die wochen- und monatelang und nicht nur wenige Stunden dauert, ist nicht im Geringsten überrascht, wenn man die Forschungsergebnisse hört, die uns sagen, dass Einsamkeit das gesundheitliche Äquivalent zum Rauchen von fünfzehn Zigaretten pro Tag ist, oder dass Einsamkeit das Risiko eines vorzeitigen Todes erheblich erhöht.

Nach Untersuchungen der „Co-Op“ und des Roten Kreuzes sind mindestens neun Millionen Menschen in Großbritannien von Einsamkeit betroffen. Laut der „Kampagne zum Ende der Einsamkeit“ sagen mehr als drei Viertel der Allgemeinmediziner, dass sie täglich zwischen einem und fünf Patienten sehen, die vor allem wegen ihrer Einsamkeit gekommen sind. Angesichts dieser wachsenden sozialen Realität wurde in den Medien in den letzten Jahren viel über das Problem der Einsamkeit gesprochen, und wohltätige Organisationen und Kampagnen, die sich mit diesem Problem befassen, sind sprunghaft angestiegen. Zuletzt, nach dem Tod der Abgeordneten Jo Cox, die sich engagiert für das Thema Einsamkeit eingesetzt hat, wurde von der Regierung die Jo Cox-Kommission für Einsamkeit eingesetzt und hat kürzlich ihre Empfehlungen veröffentlicht. Die Regierung hat schnell gehandelt, indem sie der Ministerin für Sport und Zivilgesellschaft, Tracey Crouch, die Verantwortung für „Einsamkeit“ übertragen und versprochen hat, im Laufe des Jahres eine regierungsübergreifende Strategie zu diesem Thema zu veröffentlichen, um die anderen Empfehlungen des Cox-Berichts umzusetzen. Das war’s dann also: Dank der Bemühungen vieler entschlossener Kämpfer ist die Einsamkeit endlich bei unseren Oberhäuptern angekommen, und sie haben einen Plan! Wir können also zu anderen Themen übergehen.

Aber wenn wir das Problem wirklich angehen wollen, sollten wir uns fragen, woher diese Epidemie der Einsamkeit kommt. Es wäre aufschlussreich, sowohl die tiefen historischen Wurzeln als auch die neueren ideologischen Grundlagen der Einsamkeit zu betrachten.

Ausgehend von den historischen Wurzeln, die auf die Denker der Aufklärung zurückgehen, ist Einsamkeit in gewissem Maße die negative Begleiterscheinung des modernen Wunsches nach individueller Freiheit, weg von den Beschränkungen und Zwängen traditioneller Institutionen und Lebensformen: Religion, Familie, Dorf, tyrannische Chefs und so weiter. Die einzelnen Menschen wollen eine größere Auswahl über ihre Arbeit, den Ort, an dem sie leben, ihre moralischen und politischen Überzeugungen, ihre sexuelle Orientierung und so weiter ausüben.

Aber die Kehrseite dieses Wunsches ist die Schaffung der mobileren und unruhigeren Individuen, die wir heute sind, die sich für den Rückzug aus traditionellen Gemeinschaften wie Großfamilie, Nachbarschaft, Kirche oder Verein entscheiden. Die Schwierigkeit besteht darin, dass wir nicht immer Ersatz für die Gemeinschaft und das Gemeinschaftsgefühl finden können, die diese Institutionen geschaffen haben und die sie benötigen. Die gestiegene Nachfrage nach individueller Freiheit führt dazu, immer mehr einsame Individuen hervorzubringen.  Deshalb ist es für moderne Gesellschaften so wichtig, Institutionen und Orte zu schaffen, die Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit fördern, Orte, von denen die Menschen wissen, dass sie dort Gesellschaft und Gemeinschaft finden können, ohne ihre individuelle Freiheit aufzugeben.

Doch anstatt diesem historischen Trend mit neuen Wegen entgegenzutreten, Verbindungen zwischen Individuen zu schaffen und gleichzeitig diesen legitimen Freiheitsdrang zu respektieren, hat die in den letzten Jahrzehnten dominierende neoliberale Ideologie die Ursachen der Einsamkeit in zweierlei Hinsicht verstärkt.

Erstens hat es unser Bild von uns selbst als absolut freie Wesen gestärkt. Die neoliberale Ökonomie porträtiert uns als rationale, autonome Wählende von Lebensstilen, Konsumgütern – und Ich-Schöpfern, für die alle mittel- und langfristigen Projekte oder Bindungen an andere im Moment der Wahl Hindernisse für unsere Freiheit darstellen. Wohlhabende, “erfolgreiche” Individuen präsentieren sich uns als “Selfmademen”, die alles ihrer harten Arbeit verdanken, die wir bewundern und ihnen nacheifern sollten, ohne die vielen Menschen zu erwähnen, die ihnen auf dem Weg nach oben geholfen haben – und die vielen Möglichkeiten, wie sie von staatlicher Gesundheitsversorgung, Bildung und anderen öffentlichen Dienstleistungen profitieren konnten.

Frederic Lordon, Colin Cremin und andere haben die Art und Weise beschrieben, in der sich der neoliberale Kapitalismus nicht damit begnügt, seine Arbeitskräfte einfach zu dominieren, sondern uns zu willigen Agenten unserer eigenen Versklavung macht. Viele von uns haben sich zu fröhlichen Teamplayern und kompetitiven Karrieristen entwickelt, die gerne das Familien- und Privatleben opfern, um die Boni der Vorstandsmitglieder oder die Dividenden der Aktionäre zu erhöhen, während unsere Belohnungen weitgehend symbolisch bleiben (Schulterklopfen des Chefs, Auszeichnungen für “beste Mitarbeiter”, Beförderungen etc.).

Neben der ökonomischen Globalisierung und der Finanzialisierung der Vermögenswerte ist diese Kolonisierung der “Seele” – der bisher weitgehend privaten Domäne der Begehrlichkeiten und unserer Gefühle – wohl eines der kennzeichnenden Merkmale des Neoliberalismus. Ein Resultat ist, dass wir uns als Meister unseres eigenen Schicksals sehen, unabhängig und getrennt von anderen, sowohl im beruflichen als auch im privaten Leben.

Die zweite Weise, wie der Neoliberalismus die Einsamkeit fördert, besteht darin, alles, was in einem engen ökonomischen Verständnis dieses Begriffs nicht “produktiv” ist, zu eliminieren – alles, was für die Aktionäre keinen Return-on-Investment bringt. Regierungen aller Couleur haben in den letzten Jahren Politiken umgesetzt, die Jugendclubs, Sportvereine, Bibliotheken und Wohltätigkeitsorganisationen, die behinderte oder ältere Menschen oder andere schutzbedürftige Gruppen unterstützen, auflösen oder untergraben – genau solche kollektiven Projekte, die Menschen vor Einsamkeit in modernen freiheitsliebenden Gesellschaften schützen. Gleichzeitig trocknet das Heer der Freiwilligen aus, die einst solche Gemeinschaftsprojekte betrieben haben, die ausgelaugt sind, weil sie bei ihrer eigenen Arbeit bis auf den letzten Tropfen ihrer Produktivität, d.h. ihrer Energie, ausgequetscht wurden. Dies sind einige der wirklichen Ursachen für die heutige Einsamkeit.

Ich sage nicht, dass wir die Empfehlungen der Cox-Kommission ablehnen sollten, die die Unterstützung von Jo Coxs Ehemann Brendan erhalten haben. Aber wir sollten uns keine Illusionen darüber machen, wie viel sie in einem sozioökonomischen System erreichen können, die Einsamkeit – ganz zu schweigen von einer Epidemie psychischer Probleme – in großem Maßstab erzeugt.

Eine Analogie kann hier mit der Entwicklungshilfe hergestellt werden: Reiche Länder kolonisieren jahrzehntelang oder jahrhundertelang die meisten Länder der Welt, plündern ihre natürlichen und menschlichen Ressourcen, um dann nach der Gewährung der nationalen Unabhängigkeit ein System von Handelsregeln und Bankkrediten zu etablieren, das Abhängigkeit und Armut festschreibt und die Entwicklung der armen Länder unmöglich macht. Dann wird uns gesagt, dass wir das Problem der globalen Armut lösen können, indem wir ein bisschen Hilfe anbieten. Das Gleiche gilt für die Einsamkeit: Wir können die Ursachen der Einsamkeit nur angehen, indem wir sie zuerst verstehen und dann das Wesen unserer Gesellschaft so verändern, dass sie keine Einsamkeit mehr erzeugt. Ein “Minister für Einsamkeit” wird das nicht leisten.

Copyright © 2018. Wenn jemand den Text veröffentlichen möchte, bitte anfragen.

Matt Haig: “Nicht mehr Scham bei psychischen Störungen wie bei einer Mandelentzündung”

Übersetzung von “Matt Haig: ‘There is no more shame in mental illness than having tonsilitis”
https://www.theguardian.com/books/2017/jul/21/reformation-2017-matt-haig-mental-health-physical-integrated-healthcare?CMP=share_btn_tw

Matt Haig, The Guardian, 21. Juli 2017

In unserer Serie, die den 500. Jahrestag der Reformation markiert, sagt der Schriftsteller, dass es an der Zeit ist, psychische und körperliche Gesundheit zu integrieren.

Das Problem beim Sprechen über psychische Gesundheit ist, dass wir ihr immer noch nicht die gleiche Priorität zu körperlicher Gesundheit einräumen. Das ist falsch, nicht nur, weil es dazu führt, dass weniger Geld für die psychosoziale Versorgung von Regierungen ausgegeben wird, sondern auch, weil so nicht erkannt wird, dass die allgemeine Vorstellung von psychischer Gesundheit nicht isoliert betrachtet werden sollte.

Als Spezies lieben wir es, die Dinge aufzuteilen. Wir zeichnen eine gerade Linie in einer Karte zwischen dem Atlantik und dem indischen Ozean, während das vom Wasser unbemerkt bleibt. So zeichnen wir auch eine Linie zwischen dem Psychischem und Physischem und gründen unser gesamtes Gesundheitssystem auf dieser falschen Trennung.

Früher einmal präzisierte die medizinische Welt die Anlagen des menschlichen Körpers mit der Aussage, es gäbe vier unterschiedliche Körpersäfte. Jede einzelne gesundheitliche Beschwerde könnte als ein Überschuss oder Mangel einer von vier verschiedenen Körperflüssigkeiten erklärt werden – schwarze Galle, gelbe Galle, Schleim und Blut. Und diese wiederum stünden in Zusammenhang mit den vier Elementen, ebenso wie die vier Jahreszeiten und die vier Lebensabschnitte des Menschen.

Wenn Sie sich in diesen guten alten Tagen deprimiert oder melancholisch gefühlt haben, wurde das auf einen Überschuss von schwarzer Galle zurückgeführt. Tatsächlich, das Wort Melancholie, wie auch melancholisch, stammt über dem Lateinischen von den altgriechischen Worten melas kholē ab, die wörtlich “schwarze Galle” bedeuteten. Heute erscheint das komisch, diese Vorstellung. Aber wenigstens auf eine Weise war das weit fortgeschrittener als unser gegenwärtiges Herangehen. Es sah nämlich keine starre Kluft zwischen körperlicher und psychischer Gesundheit vor. Geisteskrankheit wurde angesehen als dass sie körperliche Ursachen hätte und wurde mit den vier Elementen in Verbindung gebracht.

Heute, natürlich, wenn Sie Ihren Arzt wegen anhaltender Gefühle von Wertlosigkeit und Verzweiflung und der Sinnlosigkeit des Daseins aufsuchen, wird er wahrscheinlich nicht von Gallensäften irgendeiner Art sprechen. Andererseits, bevor wir glauben, dass wir am Ende des Fortschritts angelangt sind und alle Antworten haben, sollten wir uns daran erinnern, dass unsere Ärzte vielleicht überhaupt nicht über Ihren Körper sprechen.

Und doch hat alles, was ich herausgefunden habe über meine eigenen Erfahrungen mit psychischer Gesundheit und Krankheit, mich gelehrt, dass auch dies ein Fehler ist. Auch wenn Sie die Vorstellung haben, dass Geisteskrankheit nur eine Krankheit des Gehirns ist, so ist das Gehirn eine physische Sache. Das Gehirn ist der Körper. Psychische Gesundheit ist physische Gesundheit. Körper und Psychen beeinflussen einander.

Ich würde noch weiter gehen. Ich möchte nicht zu sehr im Schneidersitz auf einer Himalaya-Bergspitze sitzen, aber psychische Gesundheit bedeutet nicht nur ein gesundes Gehirn. Die psychische Gesundheit ist auf komplexe Weise mit dem ganzen Körper verbunden. Und der ganze Körper ist auf komplexe Weise mit der psychischen Gesundheit verbunden. Du kannst genau so wenig eine Linie zwischen dem Körper und dem Geist ziehen wie Du eine Linie zwischen den Ozeanen ziehen kannst.

Es ist beruhigend zu erkennen, dass viele Kognitionswissenschaftler dies heute anerkennen. Gedanken sind nicht nur die Produkte von Gehirnen, und umgekehrt. Wie Guy Claxton – selbst ein kognitiver Wissenschaftler – in „Intelligence in the Flesh“ schreibt, “der Körper, der Darm, die Sinne, das Immunsystem, das lymphatische System interagieren so unmittelbar und so komplex mit dem Gehirn, das man keine Linie über dem Hals ziehen und sagen kann ‘über der Linie sitzt die Klugheit und unter der Linie ist das Niedere‘.“ Kurz gesagt:” Wir haben nicht nur die Körper. Wir sind die Körper.”

Das Wort “ganzheitlich” ist sehr oft mit wissenschaftlich zweifelhaften Arten von Therapien verbunden, aber die Wissenschaft führt uns langsam zu einer ganzheitlicheren Betrachtung von Psychen und Körpern, so dass unsere Gesundheitsversorgung das anerkennen muss. Wir müssen die physische Natur der psychischen Störungen und die psychische Natur der körperlichen Krankheit erkennen. Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie und Krankenhäuser für körperliche Erkrankungen sollten alle psychisch-physische Krankenhäuser sein (aber vielleicht sollten sie etwas prägnanter heißen).

Ein glücklicher Nebeneffekt der Löschung der Linie zwischen Psyche und Körper, die seit Descartes kühn gezogen wurde, wäre die psychische Gesundheit zu entstigmatisieren, indem sie mit Stigma freien körperlichen Problemen wie Asthma und Arthritis gleichgesetzt würde. Es würde auch zu einer besseren Gesundheitsversorgung führen. Wenn die psychische Gesundheit in physischer Begrifflichkeit verstanden würde, würde sie aufhören, die arme Verwandte der Gesundheit zu sein, wenn es um staatliche Finanzierung geht.

Letztlich würde es nicht nur Ärzten und Krankenschwestern helfen, uns besser zu verstehen. Es würde auch ändern, wie wir uns selbst sehen. Die Vorstellung, dass unsere Psychen in unserer Kontrolle sind, und dass der freie Wille alles ist, ist immer noch vorstellig und lässt die Menschen eine Art von Schuld oder Scham empfinden krank zu sein. Ein Schuldgefühl, das an sich die Symptome verschärft. Wir müssen wirklich verstehen, wie Psychen und Körper miteinander interagieren und wie beide von der Welt beeinflusst werden.

So wäre ein neues, mehr integriertes Gesundheitssystem nicht nur gut, weil es den Patienten helfen würde, es würde auch jedem helfen, der sich belastet fühlt, zu verstehen, dass man nicht mehr Scham empfinden müsste wie wenn er eine Mandelentzündung hätte. Krankheit ist Krankheit und Gesundheit ist Gesundheit. Es kann kein “Geist über Materie” geben, wenn wir verstehen, dass die Psyche Materie ist.

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Großbritannien hat fast 800 Vieh-Mega-Farmen, deckt eine Untersuchung auf

Übersetzung von “UK has nearly 800 livestock mega farms, investigation reveals”
https://www.theguardian.com/environment/2017/jul/17/uk-has-nearly-800-livestock-mega-farms-investigation-reveals
The Guardian, 17. Juli 2017

Exklusiv: Nach amerikanische Muster intensiv betriebene industrielle Zucht von Geflügel, Schweinen und Rindern fegt über die britische Landschaft – erhöht Bedenken über Tierquälerei

Fast jede Grafschaft in England hat mindestens eine Viehzuchtfarm im industriellen Maßstab, mit knapp 800 Mega-Farmen nach amerikanischen Muster in ganz Großbritannien, wie neue Untersuchungen zeigen.

Die Zunahme der Mega-Höfe, die Kritiker als “grausam und unnötig” bezeichnen, ist Teil eines Anstiegs um 26 % der industriellen Massentierhaltung in sechs Jahren, eine Verschiebung, die die britische Landschaft umwandelt.

Nur 12 Grafschaften in Großbritannien beherbergen heute keine Schweine- oder Geflügelfarmen, die vom Umweltamt als industrielle Tierhaltung eingestuft werden. Um als industriell eingestuft zu werden, muss ein Hof Lagerhallen mit mehr als 40.000 Vögeln, 2.000 Schweinen oder 750 Zuchtsauen haben.

Herefordshire hat mehr als 16 Millionen Tiere aus industrieller Massentierhaltung, vor allem Geflügel – das bedeutet, dass die Grafschaft 88 Mal mehr Tiere aus industrieller Massentierhaltung hat als Menschen. Shropshire und Norfolk folgen nah mit mehr als 15 Millionen bzw. 12 Millionen Tieren. Fast jede Grafschaft in England und Nordirland hat mindestens eine Mega-Farm, und sie sind auch über Schottland und Wales verteilt.

Der Vormarsch der Mega-Farmen nach amerikanischen Muster – definiert in den USA als Anlagen, die 125.000 Masthühner, 82.000 Legehennen, 2.500 Schweine, 700 Milchvieh oder 1.000 Schlachtvieh enthalten – wurde in einer Untersuchung von „The Guardian“ und „The Bureau of Investigative Journalism“ aufgedeckt.

Die meisten dieser Höfe sind unbemerkt geblieben, trotz ihrer Größe und der Kontroverse um sie herum, zum Teil weil viele Landwirte bestehende Anlagen erweitert haben anstatt neue Standorte zu suchen.

Mega-Farmen und Betriebe mit industriellem Maßstab (die als industrielle Tierhaltung, aber nicht als “Mega” nach US-Definition gelten) haben bisher Aufmerksamkeit erregt wegen Bedenken von Anwohnern über Gerüche, Lärm und dem Potenzial für Umweltverschmutzung oder Krankheitsausbrüchen sowie von Tierschutzaktivisten, die argumentieren, dass die Landwirtschaft im industriellen Maßstab, in dem der Viehbestand selten oder niemals ins Freie darf, verhindert, dass Tiere ihr natürliches Verhalten leben. Sie machen sich auch Sorgen, dass Mega-Höfe kleinere Bauern aus dem Geschäft drängen, was zur Übernahme des Landes durch große Agrarunternehmen mit dem Verlust von traditionellen Familienbetrieben führt.

Ihre Befürworter sagen, dass die engen Kontrollen der Betriebe mit industriellem Maßstab bedeuten, dass Krankheit, Umweltverschmutzung und der CO2-Fußabdruck auf ein Minimum reduziert werden können. Solche Betriebe produzieren auch für die Verbraucher zu niedrigeren Kosten als kleine Bauernhöfe.

Die Regierung stellt keine zentralen Statistiken über Mega-Farmen zusammen, für die es keine anerkannte Definition nach britischen Vorschriften gibt, aber Höfe mit industrieller Tierhaltung benötigen eine Erlaubnis. Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz und die Sichtung in Datenbanken haben 789 Betriebe aufgedeckt, die der US-Mega-Farm (Massentierhaltung) Bestimmung entsprechen.

„Compassion in World Farming“(CIWF), eine Interessenvereinigung, hat eine Karte mit Schwerpunkten in Gebieten wie Herefordshire und Shropshire, East Anglia und Nordirland zusammengestellt.

Geflügelfarmen sind meistens die größten Anlagen, sieben der zehn größten enthalten mehr als 1 Million Vögel, und die größten zwei können bis zu 1,7 Millionen bzw. 1,4 Millionen Vögel halten. Die größte gefundene Schweinefarm besitzt etwa 23.000 Schweine, während die größte Viehfarm in Lincolnshire etwa 3.000 Tiere hat.

Die Vorschläge für Mega-Farmen auf unbebauten Flächen haben in den letzten Jahren von der Öffentlichkeit eine Absage erhalten. Eine in Nocton, Lincolnshire, die mehr als 8000 Kühe enthalten hätte, musste nach lokalem Widerstand aufgegeben werden. Eine weitere in Foston, Derbyshire, für mehr als 24.500 Schweine wurde nach Protesten erfolgreich zum Scheitern gebracht.

Aus diesem Grund und aus Gründen der Kosten und Effizienz haben viele Landwirte und große Nahrungsmittelfirmen beschlossen, vorhandene Anlagen zu erweitern, die unbemerkt von der lokalen Opposition bleiben.

Emma Slawinski, Kampagnen-Direktorin bei CIWF, die Interessenvereinigung, die die Schwerpunkt-Karte erstellt hat, sagte: “Es gibt einen besorgniserregenden Trend zur industriell betriebenen Landwirtschaft. Die Tiere vom freien Land zu entfernen und sie in verschmutzte, unmenschliche Fabrikbetriebe zu stopfen, ist nicht nur grausam für Tiere sondern hat auch weitreichende Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, die Tierwelt und den Planeten. Das Verbringen der Tiere weg von der Landschaft in Käfige und überfüllte Verschläge mag wie eine platzsparende Idee erscheinen, aber dabei wird die Tatsache ignoriert, dass enorme Teile an Land anderweitig verwendet werden, um Futter für sie anzubauen.

Sie sagte, dass Tiere unter “oft öden, überfüllten und häufig schmutzigen” Bedingungen gehalten werden, trotzdem genügend Land verfügbar wäre, um sie in einer natürlichen Umgebung zu halten. “North Yorkshire hat die höchste Anzahl von in Hallen aufgezogenen Schweinen, mit über 220.000 von ihnen auf die Innenseite beschränkt, nicht in der Lage nach Futter zu stöbern und das Gelände zu erkunden. Das ist grausam und unnötig, wenn wir einfach die Tiere nach draußen bringen und sie auf dem Gelände halten können.”

Allerdings behaupten unabhängige Landwirtschaftsexperten und Branchenverbände, dass die industriell betriebene Landwirtschaft den Tierschutz nicht behindert und dem Verbraucher billigere Lebensmittel bietet. Charles Godfray, Direktor des Oxford Martin Programms über die Zukunft der Nahrung, sagte, es sei nicht möglich, das Wohlergehen der Tiere auf der Grundlage der Größe der Höfe zu beurteilen. “Es geht vielmehr darum, wie Sie es tun”, sagte er. “Es gibt industriell betriebene Anlagen, die grausam sind, und andere, die gute Beispiele dafür sind, wie man sich gut um Tiere kümmert und gute Ergebnisse erzielt.”

Richard Griffiths, Vorsitzender des britischen Sachverständigenrates für Geflügel, sagte, dass Vögel, die auf industriell betriebenen Höfen gezüchtet wurden, gute Standards hätten. “Das sind Höfe mit artgerechter Tierhaltung. Die Haltung ist das hier das entscheidende Element – ich denke, die Leute denken an Hühner, die um eine Farm herumlaufen, aber das Bild ist mehr angemessen. So werden Hühner nicht mehr bewirtschaftet. ”

Er fügte hinzu, dass der Druck von den Verbrauchern bedeutete, dass es nicht mehr durchführbar war, Vögel in der Freilandhaltung oder unter kontrollierten biologischen Bedingungen für den allgemeinen Verbrauch zu halten. “Im vergangenen Jahr züchteten wir fast eine Milliarde Vögel, 95 % innen, 3,4 % Freiland und 1 % Bio. Wenn wir versuchen würden, eine Milliarde Vögel pro Jahr kontrolliert biologisch zu halten, bräuchte das viel Land. Es ist ein Balanceakt, und es ist nachfragebedingt. Ich glaube nicht, dass wir eine Veränderung der Systeme ohne entsprechende Nachfrage der Verbraucher sehen werden. Im Moment gibt es diese Nachfrage nicht.”

Christine Nicol, Professorin für Veterinärwissenschaften an der Universität Bristol, sagte, dass die Größe eines Hofes weniger wichtig sei als die Art und Weise, wie die Tiere betreut würden, da Viehbestände auf kleinen Bauernhöfen vor allem im Winter unter Vernachlässigung oder schlechten Bedingungen leiden könnten. Allerdings fügte sie hinzu: “Generell gibt es gute Beweise dafür, dass massiv industriell betriebene Produktionsformen die intern motivierten Verhaltensweisen, insbesondere Wohlfühlverhalten wie dehnen, Fell-/Gefiederpflege, nisten einschränken. Entweder, weil nicht genügend Platz vorhanden ist oder unzureichende Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Die meisten Tiere brauchen ruhige Ruhebereiche, getrennt von geschäftigen Gebieten. Diese sind nicht immer oder nur unzureichend vorhanden.

“Es ist nicht unbedingt der Fall, dass Zugang zum Freigelände benötigt wird, um diese Verhaltensweisen zu ermöglichen. Geräumige, geschützte, halb innen liegende Bereiche mit natürlichem Licht können oft besser sein, da sie die wichtigen Verhaltensweisen erlauben während sie die Krankheitsrisiken gering halten. Es muss mehr Arbeit geleistet und viel größere Anreize angeboten werden [an Landwirte], um Verbesserungen zu fördern, und ein besseres Verständnis der Öffentlichkeit ist auch erforderlich. ”

Zoe Davies, Vorsitzende der Nationalen Vereinigung für Schweinezucht, sagte, größere Höfe erlauben eine bessere Pflege von Tieren: “Diese größeren Einheiten haben mehr engagierte Menschen – Schweine-Betriebe werden spezialisierte Tierärzte haben. Es gibt nicht so viele Produzenten, die Schweine im Freien züchten, weil es keine große Nachfrage gibt. Die Mehrheit versucht, mit allen anderen und ihren europäischen Kollegen zu konkurrieren. Es gibt eine sehr intensive Konkurrenz.”

 

 

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Der Wahnsinn des König Donald

Übersetzung von “The Madness of King Donald”
http://nymag.com/daily/intelligencer/2017/02/andrew-sullivan-the-madness-of-king-donald.html

Andrew Sullivan, NYMag.com, 10. Februar 2017

Ich denke, ich sollte damit anfangen zu sagen, dass dies ist kein Blog ist. Es ist auch nicht das, was man eine Kolumne nennen könnte. Es ist eine Art Experiment, um zu sehen, ob es etwas dazwischen gibt. Von jetzt an werde ich an den meisten Freitagen hier schreiben, unter anderem über das Ende der westlichen Zivilisation, den Zusammenbruch der Republik und, ja, meine Beagles. Wenn Sie ein altgedienter Leser meiner ehemaligen Website “the Dish” sind, könnten Sie es manchmal unheimlich finden. Ich vielleicht auch. Das Modell, dem ich versuche zu folgen, steht eher in Tradition eines britischen Magazins mit einem wöchentlichen Tagebuch – über aktuellen Nachrichten, aber mit ein bisschen Abstand, persönlich wie auch politisch, mehr wie ein Gespräch als ein förmlicher Bericht.

Anfangen möchte ich mit Trumps Lügen. Es ist jetzt allgemeingültig, dass Trump und seine Untergebenen faustdicke Lügen erzählen. Faktenprüfer haben es noch nie so gut gehabt. Aber Tatsache ist, dass alle Politiker lügen. Bei Bill Clinton verging kaum einen Tag ohne eine Abtönung oder Aufspaltung der Wahrheit. Richard Nixon war berühmt für seine Tricksereien. Aber alle traditionellen politischen Aufschneider zollten der Wahrheit trotzdem Achtung, auch wenn sie ihr auswichen. Sie erkannten eine gemeinsame Wirklichkeit an und verneigten sich davor. Sie erkannten die Notwendigkeit einer gemeinsamen Reihe von Tatsachen an, damit eine liberale Demokratie überhaupt funktionieren kann. Trumps Lügen sind anders. Sie sind eine direkte Anfechtungen der Wirklichkeit – und bei ihrer Verbreitung und Wiederholung geht es darum, seine Macht zu verstärken anstatt sich aus einer politischen schwierigen Frage herauszuwinden. Sie sind Angriffe auf die kleinste Möglichkeit eines vernünftigen Diskurses, die Art von glatten Lügen, die autoritäre Regime darstellen als eine Möglichkeit zur Prüfung der Loyalität, und um ihre Untertanen in die Unterwerfung zu zwingen. Diese erste Pressekonferenz, in die Sean Spicer geschickt wurde um gegenüber der Presse zu lügen und über die Einweihungsfeier zu schwadronieren, erinnerte mich an einen sowjetischen Apparatchik, dessen Treue geprüft wurde, um zu sehen, ob er öffentlich wiederholen konnte, was er als falsch kannte. Es war komisch, aber auch leicht abschreckend.

Was meine ich mit der Leugnung der empirischen Wirklichkeit? Denken Sie an einer der jüngsten. Am Mittwoch veröffentlichte Senator Richard Blumenthal die Nachricht, dass Richter Neil Gorsuch, Trumps Kandidat für den lange offenen Sitz am Obersten Gerichtshof, ihm gesagt habe, dass die beispiellosen persönlichen Angriffe des Präsidenten auf Bundesrichter “entmutigend” und “demoralisierend” seien. Innerhalb einer halben Stunde wurde dies bestätigt von Gorsuchs vom Weißen Haus ernannten Sprecher, der bei dem Gespräch anwesend war. CNN berichtete ebenfalls, Senator Ben Sasse habe Gorsuch genau das Gleiche sagen hören, emotional betroffen, wie auch die ehemalige Senatorin Kelly Ayotte.

Der Präsident bestand gestern dennoch zweimal darauf, dass Blumenthal sein Gespräch mit Gorsuch falsch dargestellt habe – zuerst in einem Tweet am frühen Morgen und dann noch einmal gestern Nachmittag vor den Fernsehkameras. Um den Wahnsinn noch zu verstärken, tweetete er auch, dass Chris Cuomo in einem Interview am Morgen niemals Blumenthal auf seine Lügen über seinen Dienst in Vietnam angesprochen hätte – während die Bandaufnahme ganz klar zeigt, dass es das erste war, was Cuomo aufgeworfen hatte.

Wie sollen wir damit umgehen? Wie sollen wir auf einen Präsidenten reagieren, der in derselben Woche erzählt hat, dass die “Mordrate in unserem Land die höchste ist, die es seit 45 bis 47 Jahren gegeben hat”, während, natürlich trotz einiger jüngster, beunruhigender Spitzen in den Städten, es national fast die niedrigste Rate seit den späten 1960er Jahren ist, und die Hälfte der Rate im Jahr 1980. Was sollen wir tun, wenn ein Präsident sagt, dass zwei Menschen in Chicago erschossen wurden während Präsident Obamas Abschiedsrede – wenn dies von der Chicagoer Polizei unmittelbar bestritten wird? Nichts davon wird zudem jemals  korrigiert. Kein Fehler wird jemals zugegeben. Jede Lüge wird in der Regel durch eine andere Lüge erhöht – zusammen mit persönlichen Angriffen.

Was wir tun sollten: jede einzelne Lüge widerlegen. Bestehen Sie weiterhin darauf, dass jede Lüge zurückgezogen wird – und Journalisten in Pressekonferenzen sollten ihre Kollegen mit wiederholter Nachverfolgung unterstützen, wenn Spicer versucht, sich vor der ganzen Wahrheit zu drücken. Lassen Sie nicht zu, dass sie sich einer anderen Frage zuwenden. Bei Interviews mit dem Präsidenten selbst sollte keine Lüge unbehelligt bleiben; der Interviewer sollte drängen und  drängen und drängen  bis die Lüge zugegeben wird. Die Presse darf keine Angst haben, dem Präsidenten sogar ins Gesicht zu sagen ein Lügner zu sein, wenn er darauf beharrt. Das erfordert keinen besonderen Mut. Im Gegenteil, ich denke dabei an jene Dissidenten, deren kritisches Drängen auf die schlichte Wahrheit in einfacher Sprache in der kafkaesken Welt des Totalitarismus die Wirklichkeit am Leben erhielt. Wie der polnische Dissident Adam Michnik einmal sagte: “Im Leben eines jeden ehrenhaften Mannes kommt ein schwerer Moment … wenn die einfache Aussage, dass dies schwarz ist und das weiß ist, einen hohen Preis verlangt.” Der Preis, den Michnik zahlte, waren Jahre im Gefängnis. Können amerikanische Journalisten nicht riskieren, etwas weniger Zugang zu haben oder einen bösen Tweet zu lesen für die gleiche wesentliche Bürgerpflicht?

Dann gibt es die offensichtliche Frage der psychischen und psychologischen Gesundheit des Präsidenten. Ich weiß, dass wir das nicht aufbringen sollen – aber es starrt uns brutal ins Gesicht. Ich stelle mir immer wieder diese einfache Frage: Wenn Sie auf jemanden in Ihrem Alltag stießen, der wiederholt phantastische und nachweislich unwahre Dinge sagte, was würden Sie von ihm denken? Wenn Sie bei einem Nachbarn auftauchen, und Ihr Gastgeber zeigt Ihnen sein neu gestrichenes Wohnzimmer, das tiefblau ist, und er besteht darauf, immer wieder – manisch – dass es ein schöner Scharlachton ist, was wäre Ihre Reaktion? Wenn er dann ein Mitglied seiner Familie herauszerrt und darauf besteht, dass es diese offensichtliche Unwahrheit vor Ihnen wiederholt, wie würden Sie reagieren? Wenn er beim nächsten Mal, wenn Sie vorbeischauen, immer noch über seine wunderschönen neuen roten Wände schwärmt, was würden Sie denken? Ich denke darüber: Dieser Mann tickt nicht richtig. Er ist verwirrt. Er lebt in einer bizarren alternativen Welt. Er ist wahnhaft. Wenn das anhält, würden Sie sich irgendwann entschuldigen und vorsichtig und langsam aus dem Raum und dem Haus gehen und nie wiederkommen. Sie würden Ihre anderen Nachbarn warnen. Sie würden Abstand halten. Wenn Sie ihn sähen, würden Sie höflich sein aber Abstand halten.

Ich denke, das ist ein wesentlicher Grund, warum so viele von uns so verunsichert, ängstlich und nahe der Panik waren in den letzten Monaten. Es ist nicht so sehr die Agenda dieses Präsidenten. Das ändert sich immer von Regierung zu Regierung. Aber wenn der Dreh- und Angelpunkt eines ganzen Landes buchstäblich wahnhaft, klinisch betrügerisch ist und auf jeden Versuch, die Aktenlage zu korrigieren mit Wut und Rache reagiert, dann steht jeder ist an der Grenze.

Es gibt keinen Sicherungspunkt mehr. Im Mittelpunkt der Regierung des mächtigsten Landes der Erde steht stattdessen der Wahnsinn.

Mit jemandem wie ihm, der jede Stunde des Tages in Ihrem Bewusstsein einstürzt, fangen Sie an, einen flüchtigen Blick von dem zu erhalten, wie es sein muss in einer Art von Autokratie leben. Jeden Tag sind in den Ländern, die das Pech haben von einem einsamen Diktator beherrscht zu werden, die Menschen ständig der Anwesenheit des obersten Führers in ihren Häusern und an den Arbeitsplätzen ausgesetzt, oder wenn sie die Straße entlang laufen. Big Brother lässt Sie nie allein. Sein Gesicht rückt Ihnen auf jedem flackernden Bildschirm zu Leibe. Er fängt an, Ihre Psyche und Seele zu durchdringen; er beherrscht jeden Nachrichtenzyklus und macht rund um die Uhr Aussagen, die jede für sich schockierend und destabilisierend sind. Er hat Spaß daran, Sie ständig zu provozieren und zu überraschen, so dass sein monströses Ego beständig gefüttert wird. Und weil er auch mental instabil ist,  für immer um sich schlagend in manischen Krämpfen von Schmerz und Wut, leben Sie jeden Tag mit einem gewissen Maß an Beklommenheit. Mit was wird er am nächsten Tag ankommen? Irgendwie hat er niemals die Kontrolle über sich selbst und hat doch immer die Kontrolle über Sie.

Eine der großen Errungenschaften der freien Gesellschaft in einer stabilen Demokratie ist, dass viele Menschen über einen Großteil der Zeit überhaupt nicht über Politik nachdenken müssen. Der Präsident eines freien Landes kann den Nachrichtenzyklus viele Tage dominieren – aber er ist nicht allgegenwärtig – und weil wir in einem Rechtsstaat leben, können wir es uns leisten, die Nachrichten manchmal abzuschalten. Eine freie Gesellschaft bedeutet, frei von denen zu sein, die über Sie herrschen – um die Dinge zu tun, die Ihnen wichtig sind, Ihre Passionen, Ihre Freizeitbeschäftigungen, Ihre Lieben –  um in dem seligen Raum zu frohlocken, in den die Politik nicht eingreift. In diesem Sinne, so scheint es mir, leben wir bereits in einem Land mit deutlich geringerer Freiheit als vor einem Monat. Es ist weniger wie das Leben in einer Demokratie als wie ein Kind in einem Haus gefangen zu sein, mit einem missbrauchenden und unberechenbaren Vater, der keine Vernunft duldet, keine Gegenargumentation respektiert, keine Fehler zugibt, und immer, immer noch einen draufsetzt, bis die Katastrophe unvermeidlich eintritt. Das meine ich mit der Vorstellung, dass wir eine Notsituation durchleben.

Ich habe Scorseses “Schweigen” zweimal in den letzten Wochen gesehen. Es hat mich buchstäblich zum Schweigen gebracht. Es ist ein überragend schöner Film – aber sein Genie liegt in der Komplexität seines Verständnisses dessen, was der Glaube wirklich ist. Für einige weltliche Liberale ist Glaube eine Art einfacher und simpler Verzicht der Vernunft – eine Befreiung von der Wirklichkeit. Für Scorsese ist es ein Rätsel verpackt in einem Mysterium und oft untrennbar verbunden mit lähmendem, ewigem Zweifel. Sie sehen das in der Entwicklung des Hauptprotagonisten: von einer gewissen absolutistischen Arroganz zu einer langsamen Aufgabe des Stolzes hin zu einer tieferen geistigen Wahrheit. Der Glaube ist am Ende das Ergebnis des Mitansehens wie Ihre früheren Gewissheiten zerbröckeln und wieder aufgebaut werden, schwankend, auf neuem Grund. Gott ist fast immer schweigsam, verborgen, manchmal äußerst schmerzhafterweise, angesichts der schrecklichen Ungerechtigkeit oder des Leidens. Ein Leben im Glauben ist also nicht real, wenn es nicht von Verzweiflung durchsetzt ist.

Es gibt Momente – überragend selten, aber oft unauslöschlich – wenn man die Stimme Gottes hört und das Antlitz Jesu sieht. Man vergisst sie nie – und ich zähle die paar Momente in meinem Leben, wenn ich die Stimme gehört und das Gesicht gesehen habe als reine Andeutung dessen, was kommen wird. Aber der Rest ist wirklich Stille. Und das Gewissen ist etwas, das sich manchmal selbst nicht hören kann. Seltener habe ich die Tiefe dieser Wahrheit so dargestellt gesehen. Das ist vielleicht der Grund, warum der Film bisher nur so ein winziges Publikum hatte. Diejenigen ohne Glauben haben keine Geduld für eine lange Meditation darüber; diejenigen mit Glauben in unserer Zeit sind zu oft mit einer leidenschaftlichen Gewissheit erfüllt um das schätzen zu können. Und die geheimnisvollen Bilder dieses Films können jeden durcheinander bringen. Aber seine ganze Komplexität und Subtilität gaben mir Hoffnung in dieser vulgären, extremistischen Zeit. Wir können diese Surrealität  um uns herum nicht vermeiden. Aber es kann gelegentlich möglich sein sie zu überwinden.

 

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The US Election 2016 and the Electoral College

If the Electoral College do care about the future of the US as well as the whole world they could have no choice but to choose Clinton.

What we have learned these last days about Trump: His open attitude „to capitalize” on the presidency on many levels, his choice of unfit people as important governmental officials, his numerous pending law suits, his dubious private life.

On the other hand, there is Clinton, the winner, by far, of the popular vote. She is the most qualified candidate for president in more than a generation because of her previous work.

The electors are free to choose. There is no reason to change the election result as the people decided it: in Clinton’s favour.